Von Stufen und Fasten

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Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Dieses Gedicht Hermann Hesses fesselt mich schon seit Langem. Es wird so oft nur diese eine Zeile zitiert: Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…

Manchmal reicht diese Zeile aus, damit ich mich schlecht fühle, wenn ich einem neuen Anfang eben nichts Gutes abgewinnen kann. Manchmal spornt sie mich an, den Neuanfang so zu betrachten, dass ich vielleicht doch etwas Gutes finden kann. Aber manchmal brauche ich dann den ganzen Text. Und für mich persönlich passt er gerade jetzt ganz wunderbar in die Fastenzeit.

Wir leben seit über einem Jahr mit Covid19. Einem Jahr voller Entbehrungen, Verzicht, Angst und Sorge. Einem Jahr, in dem wir an Grenzen gestoßen sind. Vieles neu machen mussten. Anders denken mussten. Wir waren und sind alle allein mit einer Situation, in der wir niemanden um Rat fragen können. Experten, die unterschiedlicher Meinung waren und sind. Unterschiedlichste Ansätze. Verschiedenste Vorschläge. Jeder für sich musste und muss entscheiden, wem er Vertrauen schenkt. Hatespeech im Netz, Demonstrationen für oder gegen – Hauptsache laut werden. Ein Jahr, das wir still wie nie und doch ungewöhnlich laut verbringen mussten. Ein Jahr, das so sehr gezeigt hat, dass viele von uns gewohnt sind, mit dem Strom zu schwimmen. Sich nicht eigenverantwortlich durch die Flut von Informationen wühlen können oder wollen; nicht allein herausfinden möchten, was vertrauenswürdig ist und was nicht.

Und dann auch noch fasten? Ja. Ich ganz persönlich finde, dass es dringend nötig ist. Ich jammere über Entbehrungen. Ich klage darüber, dass mein Leben doch so schön war und es jetzt nicht mehr ist. Und ich finde, es ist an der Zeit, mir bewusst zu machen, was ich eigentlich alles habe. Wofür ich jeden Tag dankbar sein kann. Bewusst auf Dinge zu verzichten, die mich ganz persönlich aus meiner Wohlfühlzone locken. Ich lebe jeden Tag so selbstverständlich auf dieser Erde, die so liebevoll geschaffen wurde. Lebe dieses Leben, das so einzigartig und so vergänglich ist, oft so nebenher. Bin mir meiner Einzigartigkeit oft gar nicht bewusst. Im Gegenteil. Hier passt mir etwas nicht und dort – viel zu schnell passe ich mich auch hier an Dinge an, die gemeinhin als Schönheitsideal angesehen werden und vergesse, dass es einen Sinn hat, dass ich bin WER ich bin und WIE ich bin. Und dafür möchte ich mir die Zeit nehmen. Ich möchte die Verbindung zu dem, der mich geschaffen hat, vertiefen. Wieder finden. Ich möchte Dinge bewusst tun oder nicht tun. Ich möchte sie verlassen, diese meine jammernde Komfortzone. Mich wieder finden und mit dem mir geschenkten Verstand das tun, wofür ich hier bin.

Und so bin ich dann bereit zum Neuanfange. Denn jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…

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