Liebste Katha,
wie gerne würde ich diesen Tag heute mit Dir zusammen verbringen. Wie gerne wäre ich nicht mehr die einzige von uns vier, die die vier schon vorne stehen hat. Wie gerne würde ich mich überraschen lassen, welchen Kuchen Du dieses Jahr ausprobiert hast. Wie gerne hätte ich Dir die schönste und leckerste Geburtstagstorte gebacken. Was hättest Du Dir wohl gewünscht zu diesem besonderen Tag? Was hättest Du Dir einfallen lassen, um alle Gäste unter einen Hut zu bekommen? Hättest Du diesen Deinen 40. Geburtstag richtig groß gefeiert? Oder ganz klein?
Wie seltsam das klingt. 40 Jahre. Dabei konnten wir nicht einmal Deinen 30. miteinander feiern.
Heute ist so ein Tag, an dem ich eigentlich gern das Leben feiern würde. Weißt Du, wie oft ich mir vorgenommen habe, nichts mehr auf die lange Bank zu schieben? Wie oft ich mir vornehme, mal ein bisschen mehr an mich selbst zu denken? Wie oft ich versuche, mir meine eigene Sterblichkeit bewusst zu machen? So oft. Und doch ändere ich nichts. Dieser Strudel oder dieser Sog der Gewohnheit ist einfach so stark.
Wahrscheinlich hättest Du Dir gemeinsame Zeit gewünscht. Einen Ausflug. Und wie so oft hätte ich sagen müssen: Ich kann nicht. Oder ich kann erst später. Damals hatte das noch andere Gründe als heute. Ich habe in den letzten Jahren einen Weg eingeschlagen, der – zumindest noch – eine gewisse Radikalität verlangt. Zu Beginn des berufsbegleitenden Studiums wurde uns gesagt: „Verabschieden Sie sich für die nächsten Monate von ihrem Privatleben.“ Wie wahr das alles werden würde, ahnte da noch niemand von uns. Ich habe vielen Menschen auf die Füße getreten oder vor den Kopf gestoßen, um das hier gerade durchzuziehen. Ich hatte noch nie das Gefühl, dass etwas so richtig war, wie das hier. Aber es hat auch sehr viel gekostet. Freundschaften. Beziehungen. Und auch viel von mir selbst. Ich weiß nicht, ob Du das in Deinem Leben erleben durftest, dieses Wissen, dass es trotz allem richtig ist, was Du angefangen hast.
Ich weiß so vieles nicht. Oder nicht mehr. Kürzlich habe ich ein Video von Dir gesehen. Wie Du mit Paula im Auto rumgeblödelt hast. Basti und Paula hast Du immer mit Deinem Zungenpiercing verrückt gemacht. Weißt Du noch? Dein Lachen und Deine strahlenden Augen! Wie sehr habe ich Dich immer darum beneidet. Bei aller Ähnlichkeit, die es zwischen uns beiden gab, hattest Du immer diese offene Ausstrahlung und diese ausdrucksstarken Augen…
Wie oft wolltest Du mich vor Dingen beschützen, obwohl doch eigentlich ich die ältere war. Wie oft warst Du so viel reifer als ich und so viel weiter. Ich fänd schon schön, wenn Du jetzt noch da wärst, und so manch einer Dich älter schätzen würde als mich… Hat sich doch gerade heute noch meine Tochter über meine ersten grauen Haare lustig gemacht. An ihr hättest Du Deinen Spaß. Und ich werde in ihrer Pubertät sicher oft an Dich denken müssen. Da bin ich mir eigentlich jetzt schon sicher. Sie wird ähnlich wie Du so sehr ihre Grenzen austesten, noch mehr als jetzt, dass ich wahrscheinlich wahnsinnig werde.
An diesen Vorabenden vor diesen Tagen bin ich zu kaum einem klaren Gedanken in der Lage. Eigentlich sollte man meinen, nach so vielen Jahren wäre es normaler geworden. Würde nicht mehr so eine Rolle spielen. Aber wenn ich auch vieles vergesse – diese Tage gehören Dir. Dieser Geburtstag und dieser schreckliche andere Tag. Ich denke ganz besonders an Dich. Ich sehe Dich in den verschiedensten Situationen vor mir. Als ganz kleines Mädchen, als junge Frau. Sicherlich gab es in meinem Leben nach Dir niemanden mehr, der mir so hingebungsvoll und schmerzhaft an den Haaren ziehen konnte. Und – bis jetzt, Du weißt schon, meine Tochter – auch niemanden, der mein MakeUp gebrauchen konnte, um dann zu behaupten, es selbst gekauft zu haben. Na gut, das habe ich schon auch gemacht, aber erst nach Dir. Was sind zwischen uns die Fetzen geflogen. Ich weiß noch wie Du mir erzählt hast, dass Du Mama wirst. Das hat sich komisch angefühlt. Und heute ist es so gut, dass etwas von Dir noch da ist. Mittlerweile erwachsen.
Oder weißt Du noch, wie wir mit Opa noch am Möschenborn in der Badewanne U-Boot gespielt haben? Oder diese Weihnachten in Cronenberg, wenn wir dann rüber zu den Griese-Mädchen gegangen sind oder zum Kiosk durften? Und kannst Du Dich noch an diesen grauen Pullover erinnern, den Du selbst von einer Freundin hattest, den ich mir so gern ausgeliehen habe? Zusammen mit dieser klimpernden Kugelkette? Das war eine Zeit lang mein Lieblings-Outfit.
Ach, es ist so schön, in dieser gedanklichen Fotosammlung zu blättern. Das schöne an diesen Erinnerungen ist ja, dass auch ich da immer noch jung bin. Du merkst – ich hadere gerade etwas mit meinem Alter. Nicht, weil ich mich alt fühle, aber weil ich das Gefühl habe, die Zeit läuft schneller. Ich hätte Dinge gern früher schon gewusst, um sie da schon anders einzuleiten. Aber ob sie dann genau so gekommen wären? Wahrscheinlich nicht. Ach, ich muss es ja ohnehin nehmen, wie es kommt. Ich hoffe einfach, bei all dem, was ich falsch gemacht habe und falsch mache, fühlt es sich am Ende einigermaßen ausgewogen an mit dem, was ich auch richtig gemacht habe und richtig mache. Ich würde so gern mit Dir darüber reden. Das fehlt mir immer noch oft. Ehrlich die Meinung vor den Kopf geklatscht zu bekommen. Sofort. Ungefiltert. Das kann ich von kaum jemandem gut annehmen. Komischerweise ging das bei Dir. Und das Streiten. Meine Güte, ich kann überhaupt nicht streiten, ich hasse Konflikte. Aber mit Dir ging das. Und wie.
Katha, liebste kleine Schwester, ich werde wohl nie aufhören, Dich zu vermissen. Ich werde vielleicht auch nie aufhören, mir vorzustellen wie alles gekommen wäre, wenn Du noch da wärst. Das heißt nicht, dass ich nicht glücklich bin. Das heißt auch nicht, dass ich mein Leben nicht liebe. Aber das heißt, dass ich mir gern Sorgen um unsere Lieben nicht machen würde, die ich mir halt nicht machen müsste, wenn Du noch da wärst. Und das heißt, dass ich für Dich glaube, dass alles gut ist, da wo Du jetzt bist, aber für uns alle hier ist das Leben ein anderes. Und ich hätte gern gewusst, wie es mit Dir gewesen wäre…
Ich liebe Dich. Gestern, als ich es nie gesagt habe. Heute, wo ich es Dir so gern sagen würde. Morgen, wenn ich es Dir wieder sagen kann.
Eine Antwort
So wunderschön geschrieben 🥺♥️🎈