Dein Tod und mein Leben

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Geliebte kleine Schwester, vor 13 Jahren haben wir zum letzten Mal an einem Tisch gesessen, Kuchen gegessen und viel zu oberflächlich dein Leben gefeiert. Mit uns saßen Eifersucht, Neid, Lästereien und kleine Zickeleien am Tisch. Hätte ich alles da schon gewusst- hätte ich irgendwas anders gemacht? So waren wir doch damals eben. Und so war es gut.

Ich scheitere daran, mich an frühere Geburtstage zurückzuerinnern. Ich habe meistens die gleichen Bilder im Kopf mit den Dingen, die wir zuletzt zusammen gemacht haben. Ikea, Basti und Paula… Aber erinnerst Du Dich an unseren Ostseeurlaub mit Melanie und Sabine? Badewannen-Ausflüge mit Opa am Möschenborn? Ein paar Dinge kamen da schon, als ich ein bisschen nachdachte. Auch die Situationen, die ich gern verdrängen würde. Weil ich heute weiß, dass es Dir um mich ging. Damals dachte ich, Du willst mich und meinen Freund auseinander bringen, dabei wolltest Du mich nur beschützen. Es gab viel Konkurrenz zwischen uns. Machtspiele und Eifersucht. Geschwistergedöns.

Ich versuche mir vorzustellen, wie Du heute sein könntest. 41 Jahre. Es klingt so alt und tatsächlich bin ich sogar noch älter. Wo würdest Du wohnen? Und mit wem? Hättest Du noch mehr Kinder? Würdest Du über die Pflege schimpfen, wie es alle tun oder hättest Du vielleicht längst umgeschult? Würde man uns immer noch verwechseln? Wahrscheinlich nicht. Ich konnte das ohnehin nie verstehen. Aber heute wäre es so schön. Welche Musik würdest Du heute hören? Garou? Laith al Deen? Immer noch dieses schreckliche Duo Rosenstolz? Ich wüsste es so gern. Ich wüsste so gern, wie ich Dich wiedersehen werde. Wirst Du für immer süße 28 bleiben und so auch dort sein, wo wir uns wiedersehen? In dieser neuen Heimat, an die zumindest ich noch keine Erinnerungen habe?

Was mich wirklich getroffen hat vor ein paar Tagen, war die Nachricht auf Facebook, dass Dein Profil gehackt wurde. Jemand hat erst andere Fotos eingefügt, dann erste Dinge gepostet und am Ende Deinen Namen verändert. So viele Deiner Freundinnen und Freunde haben Dir dort jedes Jahr geschrieben. Zu Deinem Geburtstag. Zu Deinem Todestag. Und jetzt hat jemand Dich einfach übernommen. Ich habe alles versucht, das rückgängig zu machen, zu löschen oder notfalls wenigstens Dein ganzes Profil zu deaktivieren. Aber Facebook sieht dafür keinen Grund.

Wieder ein Stück weniger Du.

In all den viel zu vielen Jahren ohne Dich ist noch nie der Karfreitag auf Deinen Geburtstag gefallen. Dieser Tag der Trauer. Tanzverbot. Besondere Stille. Atemlosigkeit ob dieses schrecklichen Ereignisses. Jesus wurde für unsere Sünden ans Kreuz geschlagen. Starb qualvoll. Ich empfinde diese Karwoche jedes Jahr irgendwie intensiver. Und irgendwie glaube ich manchmal, wenn Du noch da wärst, wäre ich vielleicht an mancher Kreuzung anders abgebogen. Hätte mir manche Fragen nicht, oder zumindest jetzt noch nicht gestellt. Dein Tod und mein Leben. Und auch Jesu Tod und mein Leben. Vergebung der Sünden. Aller Sünden? Auch der, die Dich aus dem Leben gerissen hat? Reicht Gottes Vergebung? Denn ich kann das nicht vergeben. Muss ich auch nicht. Um mich geht es hier ja nicht. Wozu braucht jemand meine Vergebung, der nicht einmal um Verzeihung gebeten hat? Und schon wieder hat er Raum in meinen Gedanken. Ich kann es nicht ändern. Ich verachte ihn. Der Dir ein Freund war. Und ich frage mich, was Du dazu sagen würdest. Sollte es mir nach so vielen Jahren nicht egal sein? Hebe ich mir diese. Verachtung auf, damit wir beide – du und ich – darüber streiten können, wenn wir uns wieder sehen? Und wie anmaßend klingt es, Dich und mich und Jesus auf eine Stufe zu stellen? In Schmerz und Traurigkeit, in Nicht-Vergessen, in Immer-Vermissen und in dem Licht, das seinen Weg durch alle Dunkelheit findet. Ja, der Auferstandene geht diese Wege mit mir. Bis auch ich im neuen Zuhause ankommen werde, das Du schon so lange kennst und von dem ich weder Vorstellung noch Erinnerung habe.

Happy Birthday im Himmel, meine kleine, wunderbare, 28 oder 41jährige Schwester. Liebe zu dir, von uns allen hier. Liebe im Überfluss und so viel Vermissen. ‚

und weil heute Karfreitag ist und weil es mich in den letzten Tagen getröstet hat, lasse ich ein Lied hier:

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