Das kleine Vertrauen

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Predigt vom 03.03.2024

Predigt am 03.03.2024 – Das kleine Vertrauen

Einführung mit Herzkästchen

Ich habe heute ein Herz mitgebracht. Also eigentlich sogar zwei – mein eigenes und dieses Holzherz hier. Es sieht ziemlich unverwüstlich aus und ganz schön robust. Wenn ich drauf klopfe, klingt es auch recht stabil. Das hält schon was aus. Ich lege das mal hier, gut sichtbar auf den Altar – wir kommen später darauf zurück.

Denn zunächst geht auch der Predigttext für heute ans Herz, liebe Schwestern und Brüder. Er steht beim Propheten Jeremia im 20. Kapitel und er klingt erstmal schwer und klagend. Jeremia, der als Prophet bekannt ist für seinen unerschütterlichen Glauben und seine Hingabe an Gott. Jeremia, der auf heftigen Widerstand traf und große persönliche Opfer bringen musste. Jeremia, der leidenschaftlich seinem Prophetenamt nachging und die Botschaft Gottes auch dann verkündete, wenn es unbequem war. Dieser Jeremia klingt im Predigttext so:

Herr, du hast mich überredet und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich. Denn sooft ich rede, muss ich schreien; „Frevel und Gewalt!“ muss ich rufen. Des Herrn Wort ist mir zu Hohn und Spott geworden täglich. Da dachte ich: Ich will seiner nicht mehr gedenken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, verschlossen in meinen Gebeinen. Ich mühte mich, es zu ertragen, aber konnte es nicht.

Denn ich höre, wie viele heimlich reden: „Schrecken ist um und um!“ „Verklagt ihn!“ „Wir wollen ihn verklagen!“ Alle meine Freunde und Gesellen lauern, ob ich nicht falle: „Vielleicht lässt er sich überlisten, dass wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen.“ Aber der Herr ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen und nicht gewinnen. Sie müssen ganz zuschanden werden, weil es ihnen nicht gelingt. Ewig wird ihre Schande sein und nie vergessen werden.

Gott, wir bitten Dich, schenke Du uns ein Herz für dein Wort und ein Wort für unser Herz. Amen.

Da klingt ganz viel Verbitterung mit. Jeremia klagt über das, was ihm mit diesem Prophetenamt auferlegt ist. Verklagt werden soll er. Verfolgt wird er. Vergessen will er.

Ich weiß nicht, ob es euch aufgefallen ist, aber das waren in wenigen Sätzen vier Worte, die mit der Vorsilbe Ver- begonnen haben. Verbitterung. Verklagen. Verfolgen. Vergessen. Mir fallen noch einige mehr ein: Verlieren. Vertrösten. Verbannen. Verderben. Verbot. Verlust. Versuchung… alles ziemlich traurige Worte, die einen noch weiter herunterziehen können, das Herz belasten können.

Aber Jeremia wäre nicht der Jeremia, den ich eben beschrieben habe – der mit einer Leidenschaft für Gottes Wort und seine Botschaft unterwegs war – wenn er nicht doch aus dieser Klage heraus noch die Kurve kriegen würde: Der Herr ist bei mir wie ein starker Held. Er wird alles zum Guten führen.

Was für ein Text.

Der Bogen vom Dunkel zum Licht – vom Negativen zum Positiven

Habt ihr es auch gehört gerade, was da in aller Klage und in aller Last die ganze Zeit mitklang? Vertrauen. Ein kleines, sanftes, aber unerschütterliches Vertrauen.

Und damit haben wir ein erstes positiv besetztes Wort mit der Silbe -ver. Vertrauen. Es ist ein Wort, das wir ganz oft benutzen. Vertrauen selbst ist etwas, das wir an vielen Stellen erwarten und einfordern. Und doch bleibt es immer ein wenig abstrakt.

Vertrauen. Wir lernen es mit dem ersten Atemzug und müssen es mit dem letzten Atemzug können. Ich muss mich trauen, mich auf etwas einzulassen, das ich dann nicht mehr kontrollieren kann. Sobald etwas mein Herz berührt, verliere ich die Kontrolle und kann nur noch vertrauen. Bedeutet Vertrauen also so etwas wie Blindflug?

Als ich mitten in der Pubertät war, trennten sich völlig überraschend und für mich unvorhergesehen meine Eltern. Das ist etwas, das jeden Tag passiert. Paare trennen sich. Ich hatte Freunde, bei denen das auch passierte, aber ich hatte das für mich nicht kommen sehen. Mein Vater, der Held meiner Kindheit, der, der irgendwie immer alles wieder gut machen konnte, zog aus und in mir veränderte sich etwas. Dieses erste, kindliche Urvertrauen bekam zum ersten Mal einen Knacks. Zum ersten Mal erfuhr ich, dass ich nicht alles kontrollieren kann und dass der Wunsch danach, etwas für immer festzuhalten, Stillstand bedeuten würde. Und er wäre weder gut, noch möglich.

Es gibt unglaublich viele Beispiele für enttäuschtes, zerbrochenes Vertrauen. Jeder von euch hat sicher gerade eine Situation im Kopf. Sofort. Freundschaften halten manchmal eben doch nicht für die Ewigkeit, eine Liebe zerbricht manchmal, Vertrauen wird ausgenutzt. Menschen, die uns doch für immer begleiten sollten, wenden sich von uns ab. Oder sterben. Und das tut in dem Moment so weh, dass wir unsere Herzen davor bewahren möchten. Uns selbst schützen. Am liebsten nie mehr wieder jemanden so nah an unser so empfängliches Herz heranlassen wollen.

Was Sehnsucht vermag

Und doch gibt es tief in uns diese große Sehnsucht danach, Vertrauen zuzulassen. Diese Geborgenheit zu erleben. Die Sicherheit, genau SO sein zu dürfen, wie wir sind. Die Ruhe zu spüren, wenn sich unser Herz, unsere Sehnsucht angekommen fühlt. Die Rastlosigkeit von uns abfällt. Wir einfach erfüllt sind, von einem wohligen, sicheren Gefühl der Liebe. Die wir in allen möglichen Formen erleben können. In unserer Familie. Mit Freunden. Dem einen Freund oder der einen Freundin ganz besonders. Dem Bruder, der Schwester. Den Eltern. Dem Partner oder der Partnerin. Im Glauben an Gott. In der Beziehung zu ihm.

All das Auszusperren und nicht zulassen zu wollen, kann unser Herz hart machen. Wenn ich dieses Holzherz noch einmal hinzuziehe und darauf klopfe, sogar ganz schön hart. Aber haben wir damit gewonnen? Weil wir glauben, die Kontrolle über unsere Verletzbarkeit gefunden zu haben? Macht uns das zufriedener? Ich glaube nicht.

Wenn ich dieses Holzherz jetzt einmal aufklappe, finde ich darin das, worum es eigentlich geht. Nicht mein verschlossenes, hartes Herz, sondern das Empfängliche. Das sehnende Herz. Das ist immer noch da. Wartend. Erwartend. Aber ich habe es ja zu verschließen versucht.

Und da ist mir Jeremia meilenweit voraus, denn der nimmt all seine Kraft zusammen, hält die Verletzungen und das Unverständnis aus, steht über Spott und Hohn, sprengt die Ketten, die sich um sein Herz zu legen drohen und lässt sich in sein Vertrauen auf Gott hineinfallen. Gott wird das schon alles gut machen. Gott hat einen Plan. Und ich, Jeremia, bin ein Teil davon. Unerschütterlich.

Wie sieht es in mir aus, wenn ich an Gott denke? Was habe ich ihm nicht schon alles angekreidet, was habe ich ihm in Verzweiflung, Not und Sorge nicht schon alles vor die Füße geworfen. Wie oft habe ich mich schon allein gelassen gefühlt und Zweifel in mir bewegt? Und habe ich ihn nicht doch immer wieder gefunden? Nicht doch immer wieder nach seiner Hand gegriffen? Nicht immer wieder  nach ihm gerufen? Und konnte ich mich nicht dann immer wieder darauf verlassen, dass er da ist? Ja, ich hätte manchmal gern direkt Antworten auf das, was ich nicht verstehe. Und ja, ich könnte manchmal aus der Haut fahren vor Wut über Dinge, die er vermeintlich zulässt. Aber was weiß ich schon, außer der Tatsache, dass ich vertrauen darf. Dass Vertrauen ein Geschenk ist. Vielleicht das Geschenk meines Lebens.

Wir sind gerade mitten in der Passionszeit. In der Leidenszeit Jesu. Dieser Sonntag Okuli redet von der Nachfolge. Wir sollen auf Gott vertrauen und den Blick nach vorne richten. Unerschütterlich und beharrlich vorangehen. Das ist mal ein Auftrag.

Denn ist es nicht so, dass wir ein Verletzungsgedächtnis mit uns herumtragen? Dass wir noch so euphorisch jemanden kennenlernen können und da trotzdem die Erinnerung an vergangene Verletzungen sofort wieder da ist? Alles, was uns beschwert und belastet erinnern wir oft so viel besser, als das, was uns beflügelt hat oder glücklich gemacht hat. Die Verletzungen versuchen wir als Panzer auf unser Herz zu legen. Damit uns das nicht noch einmal passiert. Aber was ist mit all dem Glück? Mit all der Liebe? Wir beklagen immer, dass wir glückliche Momente nicht festhalten können – aber wie sollten wir auch, wenn wir zerbrochenes Vertrauen und die Angst vor neuer Liebe viel lieber mit uns herumtragen?

Gottes Plan mit mir und meinem Vertrauen

Ich nehme mir noch einmal dieses Holzherz. Denn darin, wie wir schon gesehen haben, schlummert das andere. Immer. Da ist die Sehnsucht. Immer. Und dadurch bleibt immer ein winziger, kleiner Spalt, durch den Vertrauen ganz neu hineingelangen kann. Ich nehme symbolisch jetzt einfach Watte und lege sie um das Herz. Eine erste Lage für die Liebe Gottes. Die mich erfüllt und von der ich mich erfüllen lassen darf. Darauf vertrauen darf, dass Gott es ist, der mich so will, wie ich bin. Der mich ermutigt, als genau der, der ich bin, Liebe zu empfangen und weiterzugeben. Und wenn dieses Vertrauen einen Weg gefunden hat, ist da Raum für mehr. Es passt soviel Vertrauen hinein, dass ich mein Herz weiter und weiter öffnen kann. 

Ich kann sicher nie verhindern, dass Vertrauen verletzt wird. Ich kann auch weiterhin nicht festhalten, was ich nicht verlieren will. Aber ich bin frei darin, im Jetzt zu leben. Das, was mich jetzt gerade glücklich macht, zu genießen. Ohne den bitteren Rückblick und ohne die Angst vor dem, was vielleicht kommt.

Denn Gott, der diesen großen Plan mit Jeremia hatte, der hat auch einen für mich. Und für dich. Und wie der aussieht, finden wir nicht heraus, wenn wir das vielleicht Wichtigste, was uns Gott geschenkt hat, verschließen: Unser Herz.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen in Christus Jesus. Amen.

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